Dienstag, 15. Juli 2014

Wie man auch ohne Werbepause aus einer 45-Minuten-Folge einen ganzen Kino-Abend machen kann...

...oder warum ich nicht mehr gerne fernsehe

Mal abgesehen von der in meinen Augen nicht mehr wahrnehmbaren Qualität der Sendungen im Fernsehen, gibt es noch ein ganz anderes Problem, das mir den Fernseh- oder Filmgenuss vollkommen vergällt.

Dieses Problem ist weiblich, Mitte 30, stammt offensichtlich nicht von diesem Planeten und teilt sich Wohnung und Fernseher mit mir.

Seit einiger Zeit schauen wir gemeinsam "Dexter", völlig werbefrei auf DVD. Eigentlich eine Serie, die mir gefallen könnte, bin ich doch ein großer Fan schwarzen Humors. Warum also genieße ich das nicht? Nun, ich erzähle euch einfach mal, wie sich so ein Fernsehabend gestaltet:

Es beginnt meist damit, dass sie durch alle Kanäle zappt um zu sehen, ob irgendwo etwas Sehenswertes läuft. Meist tut es das nicht, aber um ganz sicher zu gehen, jeden Fehler auszuschließen oder nicht etwa versehentlich einen echten Fernsehknüller zu verpassen wird dieses Zapping durch alle 40 Kanäle mindestens 3 Mal wiederholt.

Meist ist es dann so halb Neun, bis sie sich dazu durchringt auf unserer Festplatte nach einem passenden Film oder einer Serie zu suchen. Das dauert dann auch nochmal gute 10 Minuten, aber wenigstens muss man sich dann nicht - wie leider viel zu oft, wenn sie da ist -  irgendwelche langweiligen, längst überholten Billig-Serien ansehen.

Also zurück zu "Dexter". Zu Beginn jeder Folge gibt es eine Zusammenfassung der bisherigen Handlung, sofern sie eine Rolle in der kommenden Folge spielen wird. Ich bin ziemlich glücklich, wenn wir diese Zusammenfassung ohne Wiederholungen hinter uns gebracht haben. Spätestens jetzt muss ich meinen inneren Buddha aktiviert haben, denn Aufmerksamkeit ist nicht ihre Stärke. Wir erinnern uns: Kurzzeitgedächtnis scheint bei anderen Lebensformen eher zweitrangig zu sein.

Wir kommen selten weiter als 3 oder 4 Minuten bevor sie das erste Mal die Pausetaste drückt und den Film unterbricht, um irgendetwas zu fragen. Dexter hat nämlich ein Problem: die original Titel stimmen nicht mit den deutschen Titeln überein. Und das macht ihr zu schaffen. Ernsthaft. Sie kann das nicht ignorieren. Und sie will am Ende, dass der Folgentitel auch einen sinnvollen Bezug zur Folge hat. Wenn das nicht so ist, muss ich improvisieren und ihr möglichst schnell einen plausiblen Zusammenhang präsentieren.

Weil sie also die ersten 3 Minuten über die Diskrepanz zwischen Original- (wobei ich ihr dann auch noch einige der Worte und Redewednugen erst noch übersetzen muss) und deutschem Titel nachdenken musste, konnte sie der Handlung nicht folgen. Wir spulen also zurück und schauen diese Minuten ein zweites Mal. Wenn es dabei bleibt, kann ich mich glücklich schätzen.

Wir folgen also (ich mehr, sie weniger) der Handlung. Pause. Noch mal ein paar Sekunden zurück und allen erstes die Frage, ob das Auto im Hintergrund ein Cabrio war. Das Auto steht da an der Straße geparkt und hat keinerlei Bezug zur Handlung, ist einfach Teil der Kulisse. Nachdem wir uns überzeugt haben, dass es tatsächlich ein Cabrio war, schauen wir weiter.

Hatte ich schon erwähnt, dass sie mehr oder weniger ununterbrochen laut vor sich hin redet und erzählt, was gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist? Und sie wundert sich, dass ich nebenbei am PC tippen, chatten, spielen und Geschichten schreiben kann. Ich muss nicht unbedingt pausenlos hinsehen, um zu wissen, was passiert. Sie erzählt es ja gerade. Außerdem hat das noch einen Nachteil: weil sie redet, überhört sie manchmal den ein oder anderen Satz, oder hat einen Teil der Handlung nicht richtig wahrgenommen.

Richtig. Beides führt zur Bedienung der Pause-Taste und dem Zurückspulen der entsprechenden Stelle. Und wenn die Handlung an dieser Stelle dann auch noch vielschichtig und tiefgründig ist, erfolgt ein dritter Durchgang, bevor der Film fortgesetzt werden kann. Sollte diese Handlung eine zeitverzögerte Folge haben, werde ich an betroffener Stelle natürlich noch einmal darauf hingewiesen. Solche spitzfindigen Spannungsbogen-Tricksereien der Regisseurszunft sind mir ja völlig unbekannt....

Inzwischen sind wir dann in der Mitte der Serienfolge angekommen und wieder drückt sie an einer völlig willkürlichen Stelle Pause. Wie war nochmal der Titel der Folge? Ach ja, die Erinnerung kehrt wieder. Und der Originaltitel? Inzwischen habe ich die Antworten immer gleich parat. Früher war mir der Folgentitel vollkommen gleichgültig, denn ich wollte einfach nur unterhalten werden.

Manchmal habe ich das Gefühl, sie sucht nach verborgenen Geheimbotschaften in den Folgentiteln. Wahrscheinlich versucht auf diese Weise ihr Heimatplanet Kontakt mit ihr aufzunehmen oder gibt ihr Anweisung zur Erlangung der Weltherrschaft. Wer weiß das schon?! Diesen Titel-Fimmel hatte sie schon bei den Simpsons, die ja im Original nur eine Seriennummer haben und keinen wirklichen Titel...

Ich habe schon überlegt, aus Spass einfach mal ein paar der Titel zu ändern. Völlig frei von jedem Bezug zum Inhalt der Folge oder mit kryptsichen Hinweisen auf aktuelle Nachrichten. Bisher konnte ich dem Drang widerstehen, denn ich fürchte mich vor den Folgen. Und zwar sowohl vor denen, die ein unpassender Titel bei ihr auslösen könnte als auch vor denen, die sich daraus ergeben würden, wenn sie herausfände, dass ich es absichtlich getan habe. Aber einen Versuch wäre es wert.

Sie kann sich dabei an unglaublichen Kleinigkeiten stören. Und sei es nur, dass eine Zeitangabe in der Handlung nicht ganz hinkommt. Oder dass etwas nicht ganz der Realität entspricht. Nur so nebenbei: Alarm für Cobra 11 ist ihre Lieblingsserie. Eine sehr anspruchlose Serie über die Autobahnpolizei, die Mordfälle (!!!) klärt oder in der Spionage(!!!)-Branche spielt. Extrem realitätsnah, ständig explodieren Autos oder Hubschrauber. Aber sich aufregen, wenn der Kaffee in Dexters Tasse auch nach 15 Minuten noch immer dampft... das kann ja gar nicht sein. Natürlich beinhaltet diese Feststellung einen Spulvorgang und eine halbminütige Diskussion zur Unachtsamkeit der Film-Crew.

Wir schaffen es dann aber doch, die Folge weiter zu sehen. Inzwischen ist sie so weit in die Handlung eingestiegen, dass sie sich berufen fühlt, Prognosen über den Fortgang des Plots zu machen. Dazu wird - ihr könnt es euch sicher denken -  der Film natürlich angehalten. Dann muss ich sie ansehen, ja sie glaubt mein Hirn kann ihre Worte nur verarbeiten, wenn ich sie gleichzeitig von ihren Lippen ablese. Wahrscheinlich ist das bei ihr tatsächlich so, dass nur die Kombination aus Lauten und Lippenbewegungen in ihrem Gehirn einen Reiz auslöst, den sie verarbeiten und verstehen kann.

Ich muss also ihre Vorhersage anhören, ihrer Begründung aufmerksam folgen und am Ende ihre Vermutungen bestätigen. Wenn ich ein Arschloch wäre würde ich ihr schon aus Trotz grundsätzlich immer widersprechen, aber ich bin ja ein netter Kerl und bestätige ihre Annahmen gerne und natürlich lobend. Wobei das in etwas so ist, wie "Titanic" schauen und darüber mutmaßen, dass das Schiff wohl am Ende untergehen wird.

Dann spult sie natürlich nochmal einige Sekunden zurück, bevor der Film weiterläuft. Und dann vergehen immer einige Minuten, in denen ich fast schon versucht bin, mich wirklich in die Handlung hineinziehen zu lassen. Ich falle immer wieder darauf herein. Aber sie wartet nur darauf, dass mein Tippen aufhört und ich gebannt auf den Fernseher schaue. Die Folge nähert sich ihrem Höhepunkt und genau in diesem Moment... Pause. Völlig aus dem Zusammenhang gerissen will sie von mir, dass ich sie am nächsten Tag daran erinnere irgendeine Besorgung zu machen oder irgendwen dringend anzurufen. Dann spult sie wieder zurück und es gibt wenigstens den rudimentären Aufbau eines Spannungsbogens, bevor der Höhepunkt der Folge kommt.

Der Abspann läuft. Die Folge ist zuende. Und jetzt gibt es für gewöhnlich drei alternative Abläufe:


  1. der Titel trifft nicht zu 100% auf die Folgenhandlung zu,
  2. der Cliffhanger am Ende der Folge lässt zu viele Fragen offen,
  3. irgendwer im Abspann (und zwar NIE einer der Schauspieler) hat einen lustigen Namen.

Mir ist die dritte Alternative am liebsten, denn sie hat die erträglichsten Folgen. Es wird gespult, bis ich den Namen auch gelesen habe und ihren Kommentar dazu vollständig bestätige.

Wie das ganze bei den beiden anderen Möglichkeiten aussieht, möchte ich euch ersparen, ich denke eure Fantasie reicht da völlig aus, um sich das auszumalen, auch wenn ich mir sicher bin, die Wahrheit ist noch viel schlimmer. Eine Folge Dexter hat 45 Minuten. Ihr erinnert euch, dass wir so um 20 vor Neun angefangen haben die Folge zu sehen? Was glaubt ihr denn, wie spät es inzwischen ist? Meist ist es kurz vor Zehn. Dexter dauert im Co-Habitantinen-Cut mit integriertem Audiokommentar zwischen 60 und 70 Minuten.

Sie würde mir den Hals umdrehen, wenn sie wüsste, dass ich mehrmals heimlich "Dexter" ohne sie gesehen habe.

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